Die Besonderheit der Alltäglichkeiten

Wie kleine Dinge im Leben große Bedeutung erlangen

Es ist bereits seit einer Stunde dunkel, als wir in St. Vincents Hauptstadt Kingstown lernen, dass die letzte Chance mit dem Bus zu unserem Ankerplatz zu kommen, vertan ist. Um 16uhr schließen hier die Läden, um 17uhr werden die Bordsteine hoch geklappt und 19Uhr haben die Hunde die Straße übernommen. Die Busse fahren nach 18Uhr nur noch in die nähere Umgebung. Wir wohnen aber knapp eine Stunde, im Norden der Insel. Der Taxipreis schockt uns dermaßen, dass wir versuchen für den Preis eine Unterkunft zu bekommen. Und haben Glück. Es klappt tatsächlich auf Anhieb mit ein bisschen Verhandlung in einem sehr schicken Hotel für nur 5€ mehr als eine Taxifahrt, ein Zimmer zu mieten.

Schickes Hotel in Kingstown. Mit Treppe und so.

Nach 473 Tagen verbringen wir also erstmals wieder eine Nacht in einem richtigen Bett in einem richtigen Haus, an Land. Mit Klimaanlage, und Badewanne und Warmwasser-Dusche. Ein Fernseher, freies WLAN  und ein Kühlschrank gibts noch obendrauf. Ein echtes Highlight. Ich nehme ein Bad und strecke mich auf dem riesigen Bett in einem angenehm kühlen Zimmer aus. Echter Luxus. Ich hätte nie gedacht, dass sich so etwas so besonders anfühlen kann, was früher so normal war. 

Ein richtiges Bett in einem richtigen Haus.

Wasser, Strom, Lebensmittelversorgung… Dinge, die in Deutschland völlig normal zum Alltag gehören, bemerkt man oft gar nicht mehr. Der Strom kommt aus der Steckdose, im Supermarkt nebenan konnte ich alles kaufen was ich brauche und im Winter habe ich öfter mal die Badewanne volllaufen lassen. 

Alles ganz normal. Früher, in Deutschland, in einer festen Wohnung. 

Wie ein kleiner Wellness-Urlaub so ein Bad, richtiges Bett und Klimaanlage

Hier, auf dem Boot und noch dazu in der Karibik, bekommt das alles eine ganz andere Bedeutung. Ich weiß jeden Tag wieviel Strom ich zur Verfügung habe und stelle meinen Verbrauch darauf ein. Zwei Monate lang haben wir mit nur einer Autobatterie gelebt, weil die alten ihr Lebensende erreicht hatten. Und das natürlich, als gerade nur unbewohnte oder schlecht versorgte kleine Inseln in Sicht waren. Immer darauf bedacht noch genug Strom zu haben um den Motor starten zu können, wenn’s mal sein muss, Kühlschrank, Licht, Ladegeräte immer nur am Limit genutzt.  Aber auch nachdem wir nun mit 5 Batterien, die den Solarstrom speichern, eine sichere Versorgung haben, ist der Strom aus der Steckdose keine Selbstverständlichkeit. Und die Vorstellung, früher mit zwei Vollbädern so viel Süßwasser aus dem Hahn geholt zu haben, wie heute in unseren gesamten Tank passen, ist absurd. Die Toilette mit „Trinkwasser“ zu spülen ist nahezu lächerlich. Der Wassermacher versorgt uns einmal die Woche mit frischem Dusch-/Spül-und Trinkwasser. Trotzdem ist es rares gut. Ich muss es selbst erzeugen. Ist dieser Verzicht schlimm? Keineswegs. Es ist eine neue Art von Luxus. Und ist es nicht schön, wenn man etwas als Luxus ansieht anstatt es selbstverständlich hinzunehmen? 

Mal keinen Meerblick beim Kaffee am Morgen

Minimalistisch leben macht Platz für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Und das sind die kleinen Dinge, die wir oft im Konsumüberfluss übersehen oder bedeutungslos finden. 

Als wir nach 9 Monaten auf den kleinen Antillen erstmals wieder auf Martinique ankommen, erleben wir einen Kulturschock. Die französische Insel ist ein Stück Europa in der Karibik und bestens mit dem französischen Festland vernetzt. Das merkt man vorallem im Supermarkt. Staunend laufen wir durch richtige große Supermärkte, die nicht nur eine riesige Auswahl an Käse, Brot und Konserven bietet, sondern auch Preise von denen wir das letzte halbe Jahr nur geträumt haben. Eine Marmelade für unter 3€ und Dosentomaten für weniger als 2€, der Mais ist für 80 Cent im Angebot. Unfassbar! Wir kaufen so viel wir tragen können. 

riesige, gefüllte Supermärkte in Martinique

Und als allererstes gibt’s direkt vorm Supermarkt ein knackiges Baguette mit Roquefort und Brie. Ein Traum! Klingt verrückt? Ja, wenn man das jeden Tag hat, ist es das. Allerdings ist die Versorgung auf allen anderen südlichen und vorallem auf den kleineren Inseln weit von diesem europäischen Sortiment entfernt. Kleine Läden, die ihre Produkte von weit weg einmal die Woche mit einem Versorgungsschiff erhalten. Die Auswahl rar. Die Preise utopisch. Käse gibt es nur eine Sorte, aus Neuseeland. Die Milch kommt aus Rheinland Pfalz, als Brot kennt man nur dieses weiche Weißbrot, was einem (als verwöhnter Deutscher Brotesser) ziemlich schnell aus dem Hals raushängt. Diese Produkte sind noch bezahlbar. Honig hat fast den 5-fachen Preis zu Europa, Marmelade, sogar lokal erzeugt gibts selten unter 5€ pro Glas. Und Dosengemüse, etwas womit man sich als Segler gern eindeckt, ist lächerlich teuer. Mehr Auswahl gibt es auch gar nicht. Klar, wenn man will, kann man in speziellen Läden auch Olivenöl finden oder Feta-Käse für 10€/125g kaufen. Aber so groß ist die Lust und das Budget dann doch nicht.

Ein Gourmets-Essen vorm Supermarkt

Außerdem wussten wir ja, dass wir das alles in Martinique für ein paar Wochen wieder genießen können. Und so wuchs die Vorfreude immer mehr. Bis dahin haben wir uns angepasst, lokales Obst und Gemüse vom Markt gekauft, sind viel und günstig auswärts einheimisch essen gegangen und haben ansonsten Verzicht geübt. Dann gibts halt nicht mehr so oft Nudeln mit Tomatensoße oder Salat mit Fetakäse. 

Auf Martinique dreht sich der Spieß. Was an Angebot und Preisen im Supermarkt so schön sein mag, ist leider beim auswärts essen schwierig. Für unseren kleinen Geldbeutel ist hier wenig zu finden. Ein Restaurantbesuch für unter 10€ pro Person nicht mehr möglich. Aber es gibt dafür halt täglich frisches Baguette, oder sogar mal Vollkornbrot, alle möglichen Sorten Käse und auch mal ne Salami. Diese Woche habe ich seit Jahren mal wieder geräucherten Schinken gegessen. Ein Traum! Und das obwohl ich ja weiterhin versuche kein Fleisch in der Kombüse zu verwenden. Aber jetzt habe ich ja gelernt, dass ich diese Gelegenheit nicht alle Tage habe und es etwas wirklich besonderes ist. Ein Stück Schinken ist auf einmal von Bedeutung. 

Okay, wahrscheinlich klingt das alles lächerlich und langweilig, wenn man das von in Deutschland auf dem heimischen Sofa liest, während man die Einkaufsliste für morgen schreibt. Aber wisst ihr noch, als das Klopapier in Deutsland alle war? Nun stellt euch vor, die Kühlregale bei Aldi sind leer und beim Bäcker gibt’s nur noch Milchbrötchen. Fatal!…Wenn man es gewohnt ist alles immer verfügbar zu haben. 

Wir haben trotzdem fürstlich gespeist, mit frischen Avocados, Maracujas, Mangos und Brotfrucht. Aber so ein heimisches Sauerkraut oder Kümmel zum würzen ist schon etwas leckeres, was wir uns tatsächlich aus Deutschland haben mitbringen lassen. Und ich weiß jetzt schon, dass ich es in den nächsten Monaten feiern werde, wenn ich die kleinen kulinarischen Besonderheiten mal zubereite.

Straßenmarkt auf den kleinen Antillen

Genauso spannend ist es Ersatzteile irgendwo zu bekommen, eine Odysee wenn man einfach nur Keilriemen besorgen will oder eine Feder, die die Paddelteile verbindet. In Deutschland würde man, was es im Baumarkt nicht gibt, einfach im Internet bestellen. Keine wirkliche Option in der Karibik, wenn man nicht wochenlang irgendwo auf eine teure Lieferung warten will. Auf den größeren Inseln (St. Vincent und St Lucia z.B.) gibt es auch größere Baumärkte aber Decathlon in Martinique war schon ein kleines Paradies für uns. 

Selbstgekocht mit lieben Menschen schmeckt am besten.

Was wir seit Monaten vermissten und nirgends finden konnten, haben wir uns von Besuch mitbringen lassen. Ob es nun Polster fürs Cockpit, ein einfach im Internet bestelltes, neues Zündschloss oder Weizenbier war, alles davon ist wertvoll und bereitet sehr viel mehr Freude als früher. Die größte Freude war allerdings der Besuch ansich. Schon das zweite Mal haben mich Freunde in der Karibik besucht und es ist unglaublich schön, Menschen zu haben, die das auf sich nehmen und sich örtlich und zeitlich an uns orientieren um sich nach über einem Jahr mal wieder zu sehen. Auch alles nicht selbstverständlich. Ich bin ja freiwillig aus Deutschland weg gegangen und kann ja nicht erwarten, dass mir nachgereist wird. 

Um so schöner ist es daher gute Freude (und diesmal gleich 2 auf einmal) nach langer Zeit wieder in die Arme zu schließen, Gespräche nicht nur per WhatsApp zu führen und einfach Zeit mit Menschen zu verbringen die einen Kennen. Soziales Leben findet ja auch in der Segler-Community statt, aber es ist halt kein Ersatz für langjährige Freunde und Familie. 

Zeit mit Freunden verbringen. Unbezahlbar wertvoll!

Also auch diese, früher alltäglichen Dinge, wie Freunde treffen, wird zum Luxusgut. Nicht immer ist das schön. Aber man geht ja auch nicht auf Reisen um immer diesselben Menschen zu treffen, sondern um neue Begegnungen zu haben, und diese sind auf einer solchen Reise besonders inspirierend und bereichernd. 

Natürlich vermisse ich viel, insbesondere liebe Menschen und halt ab und zu mal ein Vollkornbrot. Aber ich habe gelernt diese Dinge wirklich schätzen zu lernen. Ich werde bestimmt ausflippen wenn ich irgendwann mal wieder im Schnee stehe und ein Glühwein trinke. Und bis dahin genieße ich ein Leben in Äquatornähe und die damit einhergehende Wärme, auch wenn die Sonne manchmal nervt. Ich werde weitere Dinge beineiden und vermissen, die ich früher für selbstverständlich hielt. Und ich werde dankbar sein für jedes dieser Dinge, die ich jetzt wert schätze. 

Abschied auf ungewisse Zeit ist immer hart.

Ganz besonders aber schätze ich Zeit viel mehr wert. Ich versuche sie jetzt viel mehr mit positiven Gedanken, und  sinnvolle Taten zu füllen. Die Zeit die wir haben, ist das wichtigste Gut. Lasst sie uns füllen mit schönen Momenten. Ich mache es auf jeden Fall. Einer der Gründe, weswegen ihr länger nichts gelesen habt, war dass ich Zeit mit meinen engsten Freunden auf Martinique verbracht habe und wahrscheinlich noch viele Monate von dieser Zeit zehren werde.  So ist das: mit rarem Gut, geht man sorgsam um. Das all diese materiellen und immateriellen Dinge so kostbar geworden sind, ist eines der besten Aspekte dieser Reise. Auch wenn es viel mit Verzicht zu tun hat, habe ich am Ende dadurch sehr viel mehr gewonnen. 

Es sind die kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machen. 

Beim nächsten mal gibt’s wieder was über Land und Leute zu lesen: freut euch auf viele Strandbilder von Martinique!

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Hier könnt ihr unserem Boot folgen und unsere Route mit allen Beiträgen unter „show journey“ sehen:



4 Kommentare bei „Die Besonderheit der Alltäglichkeiten“

  1. So schön, wieder von Euch zu lesen! Verrückt, nach über 400 Tagen mal im Bett zu schlafen, das nicht schaukelt

  2. Jeder Bericht von dir so anders und so wertvoll und toll geschrieben. Danke dafür und ich freue mich sehr das ihr so eine tolle Zeit habt und mit euren liebsten hattet. Lasst es euch weiter gut gehn. Liebe Grüße aus Leipzig von deiner kaddel.

  3. Wow, eure Reise ist total an mir vorbei gegangen Und „Reise“ ist ja in deinem Fall wirklich sehr vielschichtig., denn auch zu erleben, was Verzicht bedeutet und wie bedeutsam die kleinen Dinge sind, die im Alltagstrubel viel zu schnell untergehen, ist ein Weg. Ich erinnere mich noch an meine 8 Bali-Monate. Am Anfang immer restlose Begeisterung, wenn wir an den satten, grünen Reisterrassen vorbei gekommen sind, nur um irgendwann festzustellen, dass man sie gar nicht mehr beachtet, weil sie ja immer da sind. Das geht ganz schön schnell. Wie besonders, dass ihr die „alltäglichen“ Dinge des alten Lebens jetzt viel mehr wertschätzen könnt ❤️ … und wieder in der zivilisierteren alles-verfügbar-habenden Welt werdet ihr genau die andere Seite schätzen. Das macht ihr aber jetzt schon und das ist das beste daran ✨ Bin schon ganz gespannt auf neue Reiseberichte – lasst es euch gut gehen!

  4. Ganz ganz toll geschrieben,liebe Nicole. Und Du siehst auf den Bildern sehr glücklich u entspannt aus 🙂 Weiterhin eine gute Reise!

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