Es ist Tag 9 auf der Fahrt von Gibraltar zu den Kanaren, wir sind 150 Seemeilen von Marokko und von Teneriffa entfernt.
Ich hocke auf dem Fußboden des Cockpits, Rücken an die Bordwand gelehnt, während von links der Regen prasselt und von rechts das Salzwasser ins Gesicht spritzt und starre auf die Zahl, die die Windgeschwindigkeit in Knoten misst und gebe Heiko, der am Niedergang steht (das ist der Eingang ins Boot) ein Zeichen, dass wir noch weiter reffen müssen. Der Wind ist noch das harmlose an der Situation. Aber Wellen und Dünung laufen gegeneinander und erzeugen ein Geschaukel was nicht mehr feierlich ist. Im Boot ist ein komplettes Durcheinander. Sogar die Polster sind nicht mehr auf dem Sofa geblieben und auch der letzte offen liegende Gegenstand hat sich lauthals einen neuen Platz gesucht.
Ein paar Stunden zuvor saß ich noch staunend mit „wooow-“ und Huiiii-“ lauten draußen um zu kommentieren wie sich eine herannahende 4 Meter Wand (wooow) und ein herabsurfen von dem Berg (huiii) anfühlt. Mit der Zeit machte das echt Spaß.
Einige Stunden später, die Wellenwände sind jetzt größer und in der Dunkelheit zum Glück nicht mehr so deutlich zu sehen.
Sie sind riesig! Celerity taucht öfter Mal in einer Welle ab oder knallt ins Tal hinab. Das Wasser spritzt rot grün über den Bug – angeleuchtet von unseren Navigationslichtern. Regelmäßig geht eine Welle übers Deck und landet im Cockpit.
Gegen abend sehe ich die Zahl „39“ aufm Windmesser, kriege eine ordentliche Salzdusche und entscheide, dass wir ab sofort drin bleiben. Tür zu, damit nicht noch mehr Wasser im Boot landet.
Tatsächlich ist das Geschaukel draußen besser zu ertragen als drinnen. Im Boot hören sich die klatschenden Wellen wie böse Schläge auf den Rumpf an und die Wellen sehen durch die Fenster noch bedrohlicher aus. Aber wir können aktuell draußen nichts mehr ausrichten. Otto – unser neuer Windpilot macht das super und steuert uns konsequent so hoch am Wind wie möglich (dass heißt, dass man den Wind schräg von vorn nimmt und in unserem Fall auch die Welle). Und wir wissen, dass wir da jetzt einfach durch müssen. Irgendwann wird es ja besser werden und vorbei sein.
Der Mitternachtseintrag im Logbuch lautet also nur noch „es weht und tobt immernoch.“ Geschätzte Wellenhöhe: bis zu 6 Meter (mit dem Wissen, dass 5m angesagt waren).
Außerdem hört man drin einfach alle Geräusche des Bootes, weil sie nicht vom Wellen- und Windrauschen übertönt werden. So ist ein schlimmes Geräusch zum Beispiel, das Poltern des Ankers, der sich aus seiner Sicherung gelöst hat und jetzt jedesmal wenn das Boot mit dem Bug abtaucht oder auf eine Welle schlägt laut knallt. Nach einigen Horrorszenarien in meinem Kopf von ausrauschenden oder gegen den Bug schlagenden 30kg Pflugscharankern beruhigt mich Heiko, dass er sicher an seiner Ankerkette hängt und weit genug oben um kein Loch ins Boot zu schlagen. Denn nach vorn gehen, um ihn zu sichern, will natürlich auch keiner.
Einmal müssen wir dann doch raus. Denn unsere Rettungsinseln hat sich aus ihrer Verankerung gelöst und droht über Bord zu gehen… Dass geht natürlich gar nicht und so klettere ich (natürlich angeleint, gesichert und unter Heikos Beobachtung) ein Stück vor um sie einfach mit einem Seil zusätzlich festzubinden. War am Ende gar nicht so schlimm wie die Aufregung davor.
Bei der Gelegenheit werfe ich natürlich noch einen Blick auf die Geräte. Immernoch 35Knoten. Wir sind laut Beaufort Skala bei Windstärke 8 – das ist nur stürmischer Wind, kein Sturm. Als ich morgens aufwache, fühlt es sich an wie eine Verbesserung, aber einer weiterer böiger Schauer legt nochmal einen drauf, so dass wir sicher sind, dass wir die 40Knoten irgendwann überschritten und damit 9 von 12 Windstärken, also Sturm, erlebt haben. Irre. Hat man Angst wenn man da drin steckt? Na klar. Wie Tanja, meine Segelpartnerin vom Maschsee, im letzen Beitrag so passend kommentierte: vor 2 Jahren haben wir uns bei einer Windböe von 4 Beaufort auf dem Maschsee noch in die Hosen geschissen. Und jetzt das. Aber man wächst ja mit seinen Aufgaben. Und irgendwann während der Nacht wuchs auch das Vertrauen in das Boot. Celerity hat einfach jede Welle abgeschüttelt und sich tapfer in die nächste gestürzt als würde es ihr nichts ausmachen. Das macht Mut. Und dann lenkt man sich mit positiven Gedanken ab. Tatsächlich schaue ich in dieser Nacht eine heruntergelade Folge „Löwenherz“ und lasse mir von Peter lustig erklären wie Segeln geht. Das hilft und lenkt vom „was könnte alles passieren“ Gedankenkarussell ab. Wir sind nicht die ersten die sowas schaffen und wir werden es nicht das letzte Mal erlebt haben. Dann mit etwas Erfahrung im Kielwasser.
Tatsächlich schaffen wir es auch beide ein bisschen zu schlafen. Das ist wichtig zum Kraft tanken. Auch wenn es durchaus abenteuerlich ist im Bett vorn im Bug zu liegen. Teils echt wie eine Achterbahn. In dem Moment wo das Boot in ein Wellental fällt und aufs Wasser kracht hebt sich der gesamte Körper und man ist kurz schwerelos, bevor es einen wieder in die (zum Glück weichen) Matratzen drückt. Natürlich schlafen wir viel weniger, weil es zu zweit besser zu ertragen ist und natürlich nur abwechselnd. Einer sitzt immer mit Ölzeug und Rettungsweste im Boot, bereit schnell rauszugehen und einzugreifen, wenn was ist.
Zum Glück ist das nicht nötig.
Irgendwann entscheiden wir zum näher und östlicher gelegenem Lanzarote abzudrehen. Bei dem Wetter in landnähe kommen ist zwar verrückt, aber wir halten viel Abstand und erhoffen uns hinter den Inseln ein bisschen abgeschattet zu sein. Außerdem liegt Teneriffa genau entgegen der Windrichtung und wir können es nur ansteuern wenn wir nördlich fahren. Da wo das Unwetter herkommt und da wo man am Horizont Blitze sieht. Der beste Winkel zur Welle lässt auch nur ein paar Grad zu und für die Marokkanische Küste gibt es inzwischen eine Sturmwarnung.
Also geht’s südöstlich. Und der Plan geht auf. Gegen Mittag sehen wir die erste Kanarische Insel. Wahnsinn. Wir habens geschafft. Es weht immernoch ordentlich, aber nachlassend und auch die Wellenberge werden durch die Inseln aufgehalten. Unser angepeilter Hafen auf La Graciosa liegt noch zu sehr in der hohen Dünung. Da fahren wir nicht hin.
An der Küste vor Arrecife wird es dann am Nachmittag endlich ruhiger und wir machen erstmal eine Erholungspause, schnaufen durch und schauen uns die Schäden an. Nix kaputt. Alles noch da. Wir haben nur ein paar blaue Flecken mehr und ich mir einen Muskel in der Schulter gezerrt beim Versuch die Besanschot bei 35 Knoten zu halten (dass ist der Strick für das kleine Segel hinten). Alles heile. Wir sind unglaublich kaputt und verbringen noch eine Nacht ohne Wind und Welle vor der Lanzarotischen Küste. Dort rumdümpelnd glitzert es neben uns immer wieder im Wasser. Phosphordierender Plankton. Was für ein faszinierendes Schauspiel! Am nächsten Morgen werden wir von der Marina tatsächlich bis mittags vertröstet um einen Platz zu erhalten. Die Häfen auf den Kanaren sind alle voll. Das werden wir auch später noch lernen. Wir ergattern einen zu großen und damit überteuerten Platz in der Marina Rubicon in Playa Blanca. Schon in der Lossegler-Whats App Gruppe des Transocean Vereins werden wir gewarnt nicht vor Anker zu gehen. Hier hat es in der Nacht zuvor bei den Wellenbrechern 2 Boote zerlegt. Also eins ist zerlegt, dass andere ist aus Stahl und liegt „nur“ verbeult am Strand. Das zeigt, dass es doch sicherer ist 4000 Meter nix unter sich zu haben.
Wir haben jetzt also unsere erste Sturmerfahrung hinter uns. Will man das nochmal erleben? Auf gar keinen Fall! Will man deswegen aufhören aufs Meer zu fahren? Auf gar keinen Fall! Sind es nicht genau diese Erfahrungen die einem am Ende Stärke geben und Sicherheit, tatsächlich in der Lage zu sein, einen Ozean zu befahren?
Einfach WOW!
Puh, geschafft! Dann können ja die nächsten Abenteuer kommen. Viel Spaß erst mal auf Teneriffa!
Das ist der Stoff für ein ganzes Buch? Nach wie vor habt ihr meinen vollsten Respekt!
Krasser Bericht, der einen den Sturm fast miterleben lässt. Jetzt erstmal viel Spaß auf den Kanaren!!!
Gelesen und zur Kenntnis genommen.
Spannender als mein Weihnachtskrimi….Weiterhin den richtigen Wind und liebe Grüße vom SPA-Team!
Na dann sollte ich mal deine weihnachtskrimis schreiben 😉 danke und viele Grüße an alle SPA’s!
Hallo Nicole und Heike, wow, danke für das spannende Schreiben, man hat das Gefühl mitzufahren und Respekt für Euren Mut, viel Spaß weiterhin, LG
Danke Sabine und viele Grüße nach HAJ
Hallo ihr 2,
das klingt sehr spannend bei euch. Ich hätte viel zu viel Panik gehabt bei dem Wind. Hoffe ihr hattet eine schöne Weihnachtszeit und seid gut ins neue Jahr gekommen. Viel Spaß weiterhin und freue mich auf den nächsten BEitrag.
VG
Hallo Janne! Vielen dank und schön von dir zu hören. Wir hatten und haben (in Spanien ist ja immernoch Weihnachten) eine entspannte Zeit auf Teneriffa. Viele Grüße