Reparatur- und Segelabenteuer

Grenada Januar 2025

Angestrengtes Keuchen, Flüche und  andere unkontrollierte Laute kommen aus meiner Kehle. Ich hänge kopfüber im Motorraum, ein Bein auf dem Boden, eins festgeklemmt unterm Tisch, der Oberkörper in ein kleines Loch gezwängt. Der Schraubenschlüssel rutscht in den russverschmierten Händen. Der Schweiß läuft und tropft mir brennend in die Augen. Draußen im Cockpit hängt Heiko kopfüber in der Backskiste. Wir ziehen und schieben am jeweiligen Ende eines Kabels. Stunden dauert es, bis wir es endlich geschafft haben den Bowdenzug unseres Gashebels neu zu verlegen. Am Tag zuvor haben wir schon einige Stunden damit verbracht einfach nur 6 Schrauben im Motorraum zu lösen, um den Bowdenzug überhaupt abbauen zu können. Jede Mutter oder Schraube die ich fallen lasse, muss wieder ganz am Boden des Bootes in der Suppe aus Diesel, Öl und Wasser  herausgefischt werden, unter Stöhnen und Fluchen. Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, einen Motor unter dem Fußboden einzubauen? Und warum hat mir keiner gesagt, dass man fürs Bootsleben eine Akrobatik-Ausbildung braucht? Und wie machen das eigentlich alte Leute oder einfach nur große Menschen? Das Erfolgserlebnis nach so einer Arbeit ist allerdings groß und das eiskalte Bier am Abend schmeckt wohlverdient. 

Ankerkette bearbeiten an Deck

Jeden Tag basteln wir so ähnlich am Boot herum, jeden Tag ein bisschen. Irgendwann ist der Tiefenmesser wieder in Betrieb, eine neue Bilgepumpe eingebaut, der Gashebel in Betrieb. Alle 3 Segel sind wieder angebracht und Anker und Kette entrostet, sowie die letzten Muscheln vom Rumpf gekratzt. Heiko kämpft mit der Elektronik, verlegt Anschlüsse und misst tagelang an allen möglichen Kabeln. Ich verstehe nur einen Bruchteil, stelle viele dumme Fragen und ärgere mich, dass ich in Physik doch mal besser hätte aufpassen sollen. Eigentlich sind wir nämlich gar nicht arbeitslos, wir sind Mechaniker, Elektriker und Installateure in Ausbildung. 

Muscheln vom Rumpf kratzen

Einen neuen Außenbordmotor für unser Dingie kaufen wir uns außerdem auch noch, von unserem Nachbarn. 9,8PS Tohatsu 2 Taktmotor – vor einem Jahr hätte ich damit noch nichts anfangen können, aber so langsam schlägt die Ausbildung Wurzeln. 

Wir schlagen also bei einem Schnäppchen zu. Jetzt kommen wir also auch noch mit trockenen Klamotten von A nach B. Ein Gamechanger. Und Heiko, der letzten Sommer im Serengeti-Park ja an 250 PS gewöhnt war, ist nun auch happy, ein bisschen schneller als mit den alten 6PS rumfahren zu können. Da wir keine 2 Motoren mitschleppen wollen, und den Neukauf auch finanzieren wollen, muss der alte weg. Einen 4 Takt Motor will hier in der Karibik aber keiner. Außer, man hat halt keinen Motor und braucht dringend einen. Und genau so einen Käufer finden wir dann auch. Hunter. Ein amerikanischer Medizinstudent mit einer interessanten Geschichte: kauft sich in Carriacou ein Segelboot mit Hurrikan-Schaden (noch nicht segeltauglich). Fährt das erste mal in seinem Leben mit einem (seinem) Boot alleine los, auf der Hälfte macht der Motor schlapp, er kann Notankern und wird die zweite Hälfte geschleppt zu einem Ankerplatz direkt vor der Universität, von wo er mit seinem Schlauchboot jeden Tag zur Uni an Land paddeln muss. Deswegen braucht er auch einen Außenbordmotor. Nun muss der Motor aber noch zu ihm kommen. Autos hat keiner von uns. Tragen kann man das Teil nicht, aber die Universität liegt nur 3 Buchten von unserem Liegeplatz entfernt und wir wollten eh mit Flo segeln gehen. Also machen wir einen Lieferdienst per Boot. Der Ausflug wird abenteuerlich. „Notlandung unter Segel“ betitelt es Flo, aber ich fang mal von vorne an. 

Es ist ein leicht bewölkter Freitag Vormittag, perfekter Segelwind und ich bin freudig aufgeregt, mal wieder Segeln zu gehen. Und erstmals mit einer anderen Yacht zu segeln. Noch aufgeregter ist Flo, der Bewohner der kleinen Reincke-Stahlyacht, die hinter uns liegt. Er ist noch nie in seinem Leben gesegelt. Sein Boot hat er nur unter Motor gefahren. Unser fränkischer Nachbar ist auch ohne Abenteuer schon immer recht aufgeregt und amüsant, ich weiß also schon, dass es ein lustiger Ausflug wird. Wir wollen ihm ein bisschen Segeln beibringen. In den letzten Tagen hat Heiko mit ihm die Segel angeschlagen und das Boot segeltauglich gemacht.

Heiko an der Pinne

Erstmal müssen wir aber mit Motorkraft durch die Riffe raus aus der Bucht. Sobald wir die schützenden Riffe hinter uns gebracht haben steht eine ordentliche Dünung an. Um Grenada kommt erstmal lange kein Land. Wir sind also direkt auf dem offenen Atlantik und wollen uns erstmal an das schaukeln gewöhnen und daran, ein Boot mit einer Pinne statt Steuerrad zu fahren. Das ist schon etwas anderes und gar nicht so leicht. Während wir uns da draußen noch langsam „eingroven“ macht der Motor plötzlich komische Geräusche. Dann riecht es nach Gummi. Flo springt hektisch in den Motorraum und ziemlich schnell ist klar: ein Keilriemen ist gerissen. Mit der Erkenntnis dauert es auch nicht lang und wir können zuschauen wie die Temperatur im Motor steigt.  Bevor der Motor überhitzt muss er aus. Kurzerhand setzen wir Segel. Wir sind zu nah an den Klippen um uns manövrierunfähig treiben zu lassen. Nun gut, wir wollten ja eh Segeln. Aber ohne Motor zurück durch die Riffe wird nix. Der Keilriemen muss gewechselt werden, ein Ersatz zum Glück an Bord. Aber bei dem Geschaukel und dem heißen Motor nicht so einfach. Flo wird schon seekrank wenn er nur unter Deck geht und ist total überfordert. Klar, dass das nicht die beste Vorraussetzungen sind, um das erste Mal am eigenen Boot Segel zu setzen. Heiko und ich sind zum Glück auch auf einem fremden Boot ein eingespieltes Team. Die Genua steht, wir setzen Kurs auf die Bucht, zu der wir eh wollten, denn die ist vor Wind und Welle geschützt. 

Erstes Segel ist gesetzt

Dann rufe ich Hunter an, mit dem wir ja zur Außenborder-Übergabe verabredet sind, und fragen ob in seiner Bucht Platz für uns ist. Es ist eine Boje frei. Also erkläre ich ihm: „Hunter, wir kommen gleich reingesegelt, wir haben Motorprobleme. Du musst zur zur erstmöglichen Boje paddeln und uns helfen, dort festzumachen. Wir haben nur einen Versuch. Länger können wir den Motor nicht nochmal ohne Kühlung laufen lassen“. So fahren wir also unter Segel in die enge Bucht, entdecken den Studenten mit seinem Schlauchboot an der äußersten Boje. Der Platz ist zu knapp um unter Segel nochmal zu wenden, also Segel rein und kurz mit letzter Motorunterstützung an die Boje gefahren und dort festgebunden. Motor aus. Puh. Hat geklappt. Jetzt müssen wir erstmal durchschnaufen. Während wir darauf warten, dass der Motor auf eine anfassbare Temperatur gesunken ist, genießen wir den Anblick des türkisen  Wassers und schertzen darüber, dass Flo nun halt in der True Blue Bay wohnt, ist doch auch nett hier. Er ist fertig mit den Nerven. 

True Blue Bay. Es gibt schlimmere Orte für eine Notlandung

Aber mit Motoren kennt er sich aus und hockt eine Weile schwitzend und schimpfend im Motorraum. Ist hier also auch nicht anders als bei uns an Bord. Irgendwann sind die verschmolzenen Überreste des Keilriemens dann geborgen und der  Neue treibt die Seewasserpumpe wieder an und kühlt damit den Motor wieder zuverlässig. 

Flo bastelt am Motor

Hunter übergeben wir in der Zwischenzeit seinen neuen Motor und alle sind happy über den Deal. Er, darüber seinen ersten Außenbordmotor zu einem guten Preis auch noch direkt geliefert bekommen zu haben und wir, keine Ausgaben für den Tausch auf einen stärkeren Motor zu haben. 

Dann ist es an der Zeit den Rückweg anzutreten, um noch im Hellen zurückzukommen. Denn zurück geht es gegen Wind und Welle. Nachdem wir erstmal unter Motor wieder aufs offene Meer hinaus gefahren sind, wollen wir nun auch mal alle Segel setzen, in Ruhe. Mit der Ruhe ist es bei Flo allerdings vorbei, er ist so gestresst von der Aktion, dass er nur noch nach Hause will und keinen Kopf mehr fürs segeln hat. Aber wär ja schade. Also einmal alle Segel raus, Flo an die Pinne gesetzt und ein paar Dinge erklärt auf die er gucken soll um sein Boot nach dem Wind zu steuern. Und siehe da, funktioniert. Und als das Boot sich zur Seite neigt und an Fahrt zunimmt, muss er zugeben, dass er nicht gedacht hätte, dass etwas ohne Motor tatsächlich Spaß machen kann. 

Unsere Heimatbucht schon in Sichtweite

Als jemand, der sonst nur auf schnelle Motoren und Motoradrennen steht, ist die ganze Aktion mit diesem Satz, für mich ein Erfolg. Und es hat Spaß gemacht und wir sind alle um eine Erfahrung reicher in unsere Bucht zurück gekehrt. Am Abend belohnen wir uns mit Pizza und Bier auf Hog Island. Und merken beim Erzählen unseres aufregenden Tages, dass diese Geschichte in Erinnerung bleiben wird. Ob Flo nun so schnell wieder Segeln geht… weiß man nicht. Wir tun es auf jeden Fall und zwar ziemlich bald darauf. Mit unserem eigenen Boot, nach Curacao. Diese Überfahrt ist zum Glück weniger abenteuerlich. Mit ordentlich Wind und Welle von hinten machen wir 4 Tage lang Rekordzeiten und lassen bald darauf den Anker in Spanish water fallen. Was wir in dieser neuen Welt auf den ABC Inseln entdecken, berichte ich das nächste mal.

Auf Curacao angekommen
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