Kuna Yala

Ehrfürchtig blicke ich auf die vor mir liegenden Hügel des Regenwaldes. Der Darien. Ein mystischer Flecken Erde, den zu sehen ich mir nie im Leben vorstellen konnte. Denn hier, an der Grenze zwischen Panama und Kolumbien liegt eine der unerschlossensten Gegenden der Welt. Dichter Dschungel und Berge, die nur als Flüchtlingsrouten oder zum Drogenschmuggel benutzt werden. Sonst verirren sich hierher keine Menschen freiwillig. Selbst die berühmte Panamericana, die sich von Alaska nach Südamerika zieht, ist hier im sogenannten „Darien Gap“ unterbrochen.

Und jetzt sitze ich hier auf dem Boot, das einzige in einer tief eingeschnittenen Bucht, ringsum nur tiefgrüner Regenwald, nachts hört man die Brüllaffen aus den Wipfeln der Bäume schreien, tagsüber die Vögel zwitschern. Sonst stille. In den Bergen kann man dem Kreislauf des Wassers live zusehen. Das, was aus den dicken Wolken abregnet, verdampft direkt wieder und steigt auf um sich zu neuen Wolken zu formieren. Ein echtes Schauspiel. 

Ganz unbewohnt ist es hier trotzdem nicht. Nahe des Ufers steht eine kleine Siedlung. Fünf Bambushütten auf Korallen oder Stelzen ins Wasser gebaut. Es dauert nicht lange bis das erste Einbaum-Kanu zu uns gepaddelt kommt und uns ein paar junge Kuna-Männer freudig begrüßen. Wir lernen, dass hier nicht dauerhaft gewohnt wird, sondern aktuell 15 Arbeiter hier hausen, um auf den Bananen- und Kokosplantagen ringsum zu arbeiten. Ab sofort bekommen wir regelmäßig Besuch, bekommen Kokusnüsse und Mangos im Tausch zu Reis und Öl und laden ihre Handy‘s mit unserem Bordstrom. Auch eine Languste bekommen wir im Tausch zu einer Dose Thunfisch und ner Packung Nudeln. Der vielgefragte Reis ist inzwischen bereist alles verschenkt.

Auch die Frage, ob wir hier bedenkenlos baden können wird zum Glück bejaht. Die Krokodile befinden sich nur weiter hinten in der Bucht, wo die Flüsse ins Meer münden. Ich genieße also das Schwimmen in dieser wunderschönen Landschaft. Die absolute Ruhe wird nur von regelmäßigen Grollen unterbrochen. Denn die Bedingungen an dieser feuchten Regenwald-Bergkette, die von den zwei größten Weltmeeren zu beiden Seiten begrenzt wird, sind elektrisierend. Im wahrsten Sinne. Es blitzt und donnert eigentlich immer irgendwo. Nirgends haben wir solche beeindruckenden Wolkenformationen gesehen wie hier. Schon auf dem Meeresweg von Kolumbien zum Panamaischen Festland sah man die Bergkette vor lauter Wolken kaum. Nur Wind gibt es zu dieser Jahreszeit keinen. Gar keinen. Und das wird langsam in dieser verlassenen Gegend zu einem Problem. Denn wenn wir nicht Segeln können, brauchen wir Diesel. Und wir haben soviel gegen die Strömung auf dem Weg hierher verbraucht, dass es eng wird bis zur nächsten wirklichen Tankstelle in der Zivilisation zu gelangen. Aber wir sind optimistisch, in einem der Kuna Dörfer Treibstoff aufzutreiben. 

Standard: immer dicke Wolken

Nach den ersten Kontakten mit den Einheimischen auf ihren Kanus, begeben wir uns also bald auch in die erste echte Dorf-Erfahrung in Guna Yala. Den Landstreifen an der Panamaischen Karibiküste haben sich die Kunas vor 100 Jahren blutig erkämpft. Jetzt dürfen die Ureinwohner unabhängig von Panama in ihrem Land nach ihren eigenen Regel und alten Traditionen leben. 

Morgens kurz vor Sonnenaufgang zieht das dumpfe Klappern und Plätschern von Holzpaddeln durch die Bucht. Nach und nach legen immer mehr Einbäume vom Dorf ab und gleiten langsam durchs Wasser, Richtung Meer zum Fischen oder Richtung Festland zur Bananen- und Kokosnussernte. Meist sitzt nur ein einzelner Mann im Kanu. Keiner ist hektisch. Alles geschieht in eintöniger Ruhe. Vor den Hütten aus Bambuswänden und Palmendächern kehrt Leben ein. Die Frauen kochen und nähen Molas – gestickte Bilder die auf Blusen getragen werden. Die Kinder strömen über eine Brücke zur Schule auf dem Festland. Gelebt wird auf Inseln, auf aufgefüllten Riffen, oder mit Stelzen im Wasser, dort ist weniger Viehzeug. 

Auf dem Festland stehen nur die Schulen oder Krankenhäuser, also die größeren, richtigen Häuser aus Beton mit Wellblechdächern. 

Es wird spanisch unterrichtet und so können wir uns, entgegen der Erwartung, dass nur Kuna gesprochen wird, mit den meisten verständigen. 

Das erste Dorf was wir besuchen, Malutupu, ist nicht nur mit den vielen chaotischen und identisch aussehenden Gassen verwirrend, sondern auch ein wenig bedrückend. Die Hütten stehen eng, wenig Licht dringt hindurch und die Dächer sind niedrig. Oft wissen wir nicht ob wir gleich im Garten oder Wohnzimmer einer Behausung landen oder die Gasse irgendwohin führt.  

Alle sind herzlich und offen, die Kinder oft interessiert, woher wir kommen, wie wir heißen, wohin wir gehen. Wir bekommen frische Brötchen in einer Hütte gebacken und finden ein paar Dosen-Lebensmittel, die hier aus Kolumbien regelmäßig von Versorgungsbooten hergeschifft werden. Einen Landweg, also Straße von Panama gibt es nicht. 

Eines der Versorgungsschiffe treffen wir im nächsten Inseldorf wieder. Hier stehen auch klare Regeln, für Bewohner und Seemänner an der Hafenmole geschrieben. Direkte Geschäfte dürfen nicht mit den Kolumbianern gemacht werden, man bestellt und bezahlt bei einem Mittelsmann. Die Kolumbianer dürfen nicht durchs Dorf laufen und Kuna-Frauen sich nach 18Uhr nicht am Dock aufhalten. Der Fortbestand der Kultur soll wohl gesichert werden. Immer mehr junge Menschen verlassen das traditionelle Leben und gehen nach Panama Stadt. Viele Perspektiven gibt es hier nicht. Aber die die hier bleiben, scheinen zufrieden.

Regeln für Dorfbewohner

Nachmittags füllen sich die Plätze mit Jugendlichen. Es wird vorallem Volleyball gespielt, aber auch Basketball- und Fußballplätze gibt es in Ustupo. Dieses Dorf auf einer Inselkette, mit mehreren Brücken verbunden ist größer, bunter, freundlicher. Es gibt eine Familie die tageweise einen  W-LAN-Hotspot für 40cent anbietet. Denn trotz Handymast, ist das mobile Internet kaum vorhanden. Und auch Diesel ist nicht vorhanden. Nach zwei Tage warten, während versucht wird den Diesel-Verantwortlichen zu erreichen, erfahren wir, dass es keinen gibt. Brot in der Bäckerei gibt es auch nicht. Aber Kokusnusserwasser in Dosen aus Thailand! 

Kuna-Freiheitskampf-Flagge (ein Octopus-kein Hakenkreuz!) an den Hütten neben dem Volleyballplatz

So berechnen wir also erneut die Entfernung zur nächstgrößeren Siedlung und entscheiden, dass wir bis dorthin kommen mit dem, was die Tanknadel noch anzeigt. 

Zwischendurch machen wir nochmal ein paar Tage hinter einer unbewohnten Insel fest. Monkey Island. Wir umrunden sie zu Fuß. Keine Menschen, keine Affen, nur viele Kokospalmen und- wie überall, der Müll des kompletten Atlantiks, der auch hier in unberührter Natur, sein Ende findet. Es ist traurig. War ich vor einem Jahr noch ganz motiviert, bei jeder Paddel-Runde auf dem SUP jegliche Plastikflaschen aus dem Meer zu angeln, habe ich hier gegen die Massen aufgegeben. Wir müssen unseren eigenen Müll bereits zerkleinern und in Flaschen stopfen um alles möglichst weit bis zur nächsten echten Müllentsorgungsstation zu transportieren. Denn hier entsorgen ist keine Option. 

Und wieder ein Ankerplatz für uns allein vor einer einsamen Insel

Nach dem wir nun über zwei Wochen in einsamen Gegenden unterwegs waren, sehen wir im nächsten Dorf tatsächlich die ersten anderen Boote. Andere Touristen. Die beiden Kommunen hier sind merklich mehr an Ausländer gewöhnt, als die Dörfer zuvor.

Auch die Austattung in den „Supermärkten“ ist besser, das Leben westlicher. Alle haben Smartphones, trinken Bier, sogar Englisch wird ab und zu gesprochen.

Einkaufen im gut sortierten Laden

Und: es gibt Diesel! Die offizielle „Tankstelle“ besteht aus einem Vorgarten, in dem in allerlei verschiedenen Fässern Benzin und Diesel rumsteht. Aus diversen Behältern wird der Diesel in einen Eimer zum abmessen gekippt, danach durch ein T-Shirt gefiltert in unsere Kanister gekippt. Es wird ordentlich gekleckert. Da sind wir bei der Befüllung unseres Tanks definitiv sorgsamer. 

Tanken in Kuna Yala

Nachdem sich also auch diese Sorge erledigt hat, können wir uns auf unseren Besuch freuen. Markus nimmt den Weg über Panama City bis nach Kuna Yala auf sich um mit uns eine Woche die San Blas Inselwelt zu erkunden. Die touristische Infrastruktur ist hier soweit ausgebaut, dass es spezielle Boot-Lieferungs-Services gibt. Unser Freund wird also direkt im Hotel auf der Pazifik-Seite Panamas abgeholt, mit dem Jeep eine abenteuerliche Strecke bis zum karibischen Meer gefahren und dann mit einem hochmotorisierten Holzboot bis zum Boot gebracht. Tolle Sache. Wir sparen Zeit und hart erkämpften Diesel und können die nächsten Tage das Paradies gemeinsam genießen. 

Lieferservice frei „Haus“

Erstmal gibts ein bisschen Kuna-Dorf-Erlebnis und dann geht’s erstmals mit unserem Dingi einen Fluss hinauf, mitten hinein in den Dschungel. Am aufregendsten ist das vorankommen an sich, denn ganze Bäume erschweren oft die Durchfahrt. Viele Stellen sind zu flach, so dass wir mehrmals stecken bleiben, mit der Strömung wieder zurück getrieben werden oder halt aussteigen und schieben oder tragen müssen. Die Kunas holen hier ihr Trinkwasser in Kanistern. Theoretisch gibt es eine Wasserleitung bis zum Inseldorf, wir sehen aber keine durchgängig intakte auf dem Pfad den wir durch den Busch entlang der Plastikrohre laufen. Die wilden Tiere verstecken sich, bis auf die Moskitos. Sobald man stehen bleibt ist man von Insekten umzingelt. Trotzdem eine tolle Regenwald-Erfahrung. 

Im Fluss nach dem Weg fragen

Keine 24 Stunden später stehen wir mitten auf dem ersten ultimativen Karibik-Postkarten-Motiv. Die kleinen Sandflecken mit ein paar Palmen und türkisem Wasser sind genau das, was man sich in Deutschland bildlich vorstellt, wenn man „Karibik“ hört. So viel Karibik-Feeling hatten wir noch nirgends. Und es sieht überall so aus.


Draußen krachen die weitgereisten Atlantikwellen gegen ein vorgelagertes Riff. Das Grollen übertönt sogar das Gewittergrollen. Dahinter liegen überall Inseln, oft nur ein Stück Sandbank mit Palmen, manche in 1 Minute umrundet, andere in 20 Minuten gemütlichen Spazierens. Sehr viel größere Inseln gibt es nicht. Dafür gibt es viele. So um die 365 sagt man. Wir schaffen 12. Danach ist der Sand-Palmen-Türkis Anblick auch ausgelutscht und wir freuen uns darauf, unsere Beine auf ein paar mehr Metern am Festland vertreten zu können. 

Die Woche mit Besuch ist natürlich viel zu schnell vorbei. Aber die gemeinsamen Erlebnisse bleiben in Erinnerung. Wir sehen Delfine ums Boot springen, entdecken lustige „Bootshalterfische“ die an unserem Rumpf leben, sehen Rochen, schwimmen mit Ammenhaien und bewundern glasklares Wasser und Riffe. 

Die Vielzahl an Riffen ist eine komplett neue Erfahrung für uns. Und eine echte Herausforderung für meine Nerven. Denn natürlich ist pünktlich zur Ankunft in Kuna Yala unser Tiefenmesser kaputt gegangen. Wir vertrauen also auf diverse, schlecht kartierte Seekarten und dem Auge – was natürlich nicht gewohnt ist, bei über 10 Meter bereits den Grund zu sehen. Hektische Aussagen aus meinem Mund wie „Ich sehe den Boden“ und ein atemloses „Uiuiuiii“ gehören zum Segleralltag. 

Selbst die Einfahrten zu den Inseln mit dem Dingi sind im Flachwasser jedes Mal aufregend

Aber wir trauen uns irgendwann auch durch schmale, fünf Meter flache Riff-Durchfahrten bei Regen. Manchmal ist es besser, wenn man beunruhigende Dinge nicht sieht, sondern ein entspannter Heiko am Steuer steht, der stumpf den einschlägigen Erfahrungen anderer Boote vertraut, die sorgfältig ihre Routen geteilt haben. Wir fahren bisher gut mit dieser Kombination: ich starre nervös aufs Wasser, um Anzeichen für flache Stellen zu erkennen und Heiko behält strikt die Seekarten im Blick.

So kommen wir nach einem Monat im paradiesischen Kuna Yala dann auch schon bald im richtigen Panama an, bewundern die ersten Autos auf geteerten Straßen und laufen zu Dörfern mit richtigen Häusern. Schon allein, dass ich dies als etwas besonderes empfinde, hat diese Zeit in dieser unerschlossenen Gegend zu etwas Besonderem und Unvergesslichem gemacht. Die traditionelle Lebensweise der freundlichen Menschen, die Abgeschiedenheit und die unglaubliche Schönheit und Vielfalt der Natur haben Kuna Yala für mich zu einem der eindrücklichsten Gebiete gemacht, die ich je erleben durfte. Schön, dass es diese Ecken noch auf unserer Erde gibt und wie wunderbar, dass ich sie erleben konnte und wieder wusste, wofür ich das eigentlich alles mache: für  den Moment allein in einer Bucht, nur umgeben von Urwald, Palmen und Meer, den dir niemand mehr nehmen kann. 

Alle bisherigen Artikel findet ihr mit Klick auf das einfachreisen.com-Logo ganz oben.

Diese Seite zu führen macht Spaß, kostet aber auch Geld und Zeit in Bars mit Wifi – wo wir am liebsten nebenbei Rumpunsch trinken. Wenn du uns unterstützen willst, dann spendier uns gern einen Rumpunsch – mit Klick aufs Bild!
An Panamas Küste sah das so aus: blaue Fähnchen unterwegs, Ankersymbol für die Aufenthalte

Hier könnt ihr unserem Boot folgen und unsere Route mit allen Beiträgen unter „show journey“ sehen: