Ankommen in der Südsee

Es ist wieder so ein toller Nacht-Tag-Übergang. Der Mond ist gerade erst aufgegangen, die Sichel steht im Osten, dahinter werden bereits die ersten Wolken rot angeleuchtet, während die Sterne am Himmel langsam verblassen und nur noch die hellen Sternbilder übrig bleiben. Diese Stunde vor Sonnenaufgang werde ich vermissen nach der Überfahrt. Ich hör schon Heiko sagen. „Du kannst ja gern aufstehen….“ „Nein!“

Die Nächte durchschlafen wird eine Wohltat.

Eine Stunde später sehe ich einen klumpigen Umriss am Himmel. „Der Horizont ist kaputt!“ Zwischen den grauen Wolken zeichnet sich eine dunkelgraue Silhouette am Himmel ab: Land in Sicht nach zwei Monaten auf See. Ich bin aus dem Häuschen, klatsche aufgeregt in die Hände und flitze unter Deck, das Fernglas holen. Tatsächlich, wir haben’s geschafft. 

Ganz aus dem Häuschen: Land in Sicht!

Der Klumpen am Horizont bestimmt den folgenden Tag: 

Ein flatterndes “Is er noch da?” “Wo?”, “Wie nah fahren wir ran?” , seufzendes „Guck mal, wie die Wolken da hängen.“ , staunendes „Schau, es hat mehrere Gipfel.“ Und am Abend dann freudiges: „Oh Lichter. Sich bewegende Lichter… Autos!!“ Zivilisation! Zum Greifen nah. Trotzdem müssen wir dran vorbei fahren. Denn das ist nicht unsere Insel. Hier dürfen wir glattweg nicht halten, weil es kein „Port of Entry“ ist. An die Regeln muss man sich als Segler schon halten: erst „Hallo“ sagen und Stempel in den Pass. Dann die neue Welt entdecken. 

Ua Huka: die erste Insel von französisch Polynesien in Sicht

Als ich am folgenden Morgen zum Sonnenaufgang ins Bett gehe, ist bereits die hohe grau-rote Felswand von Nuku Hiva zu sehen und zwei Stunden später fahren wir schon, von Delfinen begleitet in die Bucht hinein. Die Nacht war kurz, aber die Aufregung macht munter. 

Heiko bereitet auf Deck schon den Anker vor. Wenn du genau hinschaust, siehst du sogar die Delfine neben dem Boot springen.

Ein Segelboot kommt uns entgegen und die Crew jubelt uns zu. Das ist die Begrüßung wie ich sie fühle. Wir verdienen den Beifall. 

Wie die anderen erkannt haben, dass wir gerade von der Pazifiküberquerung kommen, und nicht von der Nachbarinsel, verstehe ich erst, als ich CELERITY das erste mal von außen sehe. Ich lache: wir sind total verdreckt. Alles ist voller Muscheln und der ehemals weiße Rumpf hat grünlich-braunen-Algenbewuchs, überall wo regelmäßig Wellen hin kamen und das ist fast überall. Dazu kommt die inzwischen fest getrocknete Kacke der Tölpel, deren wir unterwegs nicht Herr geworden sind. Kurzum: das Boot ist total verlottert. Das muss bestimmt so sein. Nach zwei Monaten auf See ist alles verlottert. Die Haare sind lang und strohig, die wenigen Kleidungsstücke müffeln und sind steif – alles ist salzig. 

langhalsige Entenmuscheln (eine Art Seepocken) bewohnen CELERITYs schmutzigen Rumpf

Aber das ist alles nicht schlimm. Denn wir sind endlich angekommen auf unserer ersten Südseeinsel. Es war anstrengend, vor allem mental. 

Acht Wochen oder um genau zu sein: 55 Tage 21 Stunden und 35 Minuten haben wir nur Meer, Wellen, Wolken, Sterne und Wind (oder auch nicht) gesehen, gehört. 

Wir sind stolz in dieser Zeit gesamthaft nur fünfzig Stunden den Motor laufen gehabt zu haben um 178 Seemeilen (330km) ohne Wind, ganz am Anfang, und am letzten Tag zu überstehen. Die restlichen 4100 Seemeilen (7600 km) haben wir segelnd oder treibend zurückgelegt, nur mit Hilfe der Natur.

Das war lahm. Vielleicht die langsamste Pazifiküberquerung unter Segel der Geschichte, aber wir haben es vollendet. Das Schneckentempo von 3,2 Knoten (<6km/h), was noch unter unserer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 3,5 knoten bei der Atlantiküberquerung lag, erklärt sich vielleicht auch durch den Bewuchs, den wir am Rumpf haben. Oder der Bewuchs hatte so viel Zeit um zu wachsen? Diese Henne-Ei-Frage werden wir nicht klären, Fakt ist, jeder andere Segler hier ist geschockt über unsere grandiosen 8 Wochen. Aber wie ihr HIER lesen könnt, haben wir schon in der ersten Woche unser Großsegel verloren. Als wir dann auch noch unser Leichtwindsegel eingebüßt haben (davon berichte ich hier), war bei dem wenigen Wind nichts zu machen außer warten…. Und aushalten. Auf drei Tage mehr kommt es bei acht Wochen auch nicht an. Wir haben also keine Anstrengungen unternommen um unbedingt schneller zu sein. Wir sind kein Risiko eingegangen, um zum Beispiel, dass Fall aus dem Mast zu holen und wollten auch den Diesel für den Notfall aufsparen. Ohne Wind und damit Manövrierunfähig auf dem großen Pazifik zu treiben ist kein Problem, keinen Sprit mehr in Landnähe zu haben, kann durchaus eins werden. 

Glücklich angekommen zu sein

Nun haben wir es also hinter uns gebracht und ein Gefühl überwiegt alles: Erleichterung, dass es endlich vorbei ist. Wir haben sowas von keinen Bock mehr. Genug gesegelt. Wir wollen Zerstreuung, Menschen, Internet. Laufen, entdecken, Landluft riechen, Natur sehen. Letzteres wird schon bei der Einfahrt in die Ankerbucht auf Nuku Hiva erfüllt.

Während die braunroten Felswände rechts und links sehr vertrocknet und staubig anmuten, erhebt sich hinter der palmengesäumten Bucht, ein grünes Bergmassiv. Die dunklen, kantigen Felsen mit ihren Nadelbäumen erinnern mich ans Elbsansteingebirge. Ein Stück Heimat in der weit entfernten Südsee. 

Sächsische Schweiz oder Südsee?

Doch zum realisieren, wo wir sind, ist später noch Zeit.

Erstmal müssen wir die Lage sondieren. 

Es liegen 35 Boote in der Bucht. Mehr als ich zur Nebensaison hier erwartet hätte. Alle Boote, die hier sind, bewegen sich das nächste halbe Jahr nicht von den Marquesas weg, denn jede andere Inselgruppe des Südpazifiks ist Zyklon-gefährdet bis April.

Wir drehen ein paar Runden, entscheiden uns für eine große Lücke zwischen den Seglern und lassen den Anker auf elf Meter Wassertiefe fallen. 

Fallen lassen diesmal auch wortwörtlich. Denn beim Ablassen der Ankerkette springt diese plötzlich von der Ankernuss (die Halterung, elektrische Bedienung und Bremse) und die komplette Kette rattert ungebremst ins Wasser. Einige schockierende Sekunden lang kann ich nur erschrocken zusehen und hoffen, dass das Seil hält, mit dem die Kette mit dem Boot verbunden ist…sonst verlieren wir gerade unser komplettes Ankergeschirr. Ich durchlebe ein Dejavue, von meiner ersten Ankererfahrung vor vier Jahren (das war auch ein Abenteuer )

Nach 60 Metern ist Schluss. Das Seil hält. Puh. 

Per Hand hole ich ein Stück Kette wieder hoch, denn natürlich funktioniert ausgerechnet jetzt die elektrische Winde nicht mehr. 

Währenddessen beeilt sich Heiko zum Steuer zu kommen, denn wir treiben gerade rückwärts aufs Nachbarboot. Was für ein Stress! Immerhin scheint die Kette nicht nur auf einem Haufen gelandet zu sein, sondern zieht sich lang und so entscheiden wir keinen neuen Versuch zu starten. Der Anker hält. 

Mir zittern noch ein bisschen die Knie vom Schrecken, als ich mich seufzend im Cockpit niederlasse. Wir sind da.

„Zisch. Klack“ – erklingt das Dosen- Ankerbier. Für Schnaps ist´s noch zu früh. Es ist alkoholfreies Bier. Es ist morgens 10Uhr. 

Erstmal durchatmen und realisieren: Wir haben’s geschafft. 

Der neue Ankerplatz in der Bucht von Taiohae

Dann eine Satelliten SMS nach Deutschland, um die frohe Botschaft zu überbringen. Zum Glück waren wir die ganze Zeit mit der Außenwelt verbunden. Per Satellit wurden Google-Suchaufträge weitergegeben, Rezepte geschickt und Neuigkeiten ausgetauscht. Schon schön dies tolle neue Technik. Gegen Starlink-Internet von Elon Musk, wie die meisten anderen Boote, haben wir uns bisher gesträubt. Nur SMS schreiben und sonst „digital detox“ wie das neuerdings heißt, war auch mal gut. 

Nach einer Verschnaufpause geht es  weiter: es ist noch früh. Also wollen wir das Tageslicht noch nutzen und noch heute an Land. Nici will laufen, die Beine bewegen!

Als erstes muss dafür das Dingi startklar gemacht werden. Es hat die zwei Monate an Deck gut überstanden. Der Außenbordmotor will allerdings nicht anspringen. Natürlich – was macht man als erstes nach zwei Monaten auf See: reparieren!

Also bastelt Heiko erstmal. Vergaser ausbauen, reinigen, Zündkerzen tauschen… alles was uns so einfällt was in der Liegezeit vergammelt sein könnte. Fast zwei Stunden später düsen wir dann zum Dock und betreten Land. Es schwankt! 

Und als allererstes werden wir freundlich auf Französisch begrüßt…. Von einem bekannten Gesicht. Das gibts doch nicht. Wir schippern wochenlang um die halbe Welt und begegnen als erstes unseren Segelnachbarn aus Curacao. Die Weltumsegler-Welt ist halt doch klein und die Routen von allen ähnlich. 

Die Bucht von Taiohae ist ein Vulkankrater. Ein schöner.

Ein bisschen eierig und unsicher bewegen sich die Füße auf dem nicht mehr schwankenden Untergrund. Laufen auf Beton ist komisch. Aber schön. Unser erster Gang zur Polizei ist umsonst. Hier werden nur zweimal pro Woche Stempel in den Pass verteilt. Wir sollen übermorgen wiederkommen. Der Gang über den Markt erweckt große Freude: frische Früchte, riesige Pampelmusen und viele Avocados. 

Meine ersten Bedürfnisse sind also erfüllt: Laufen, mit Menschen reden und frisches Obst.

Heiko hat nach seiner Süßwasserdusche noch einen Wunsch offen: Fleisch. Also begeben wir uns zur Snackbar und bestellen Steak. Es gibt nur noch eins. Okay. Dann mache ich gleich mal die richtig lokale kulinarische Erfahrung und bestelle rohen Fisch. Er kommt in einer süß-sauren Sauce mit Gemüse und schmeckt himmlisch. Pommes gibts für beide dazu. Und wir sind glücklich.

Erste Mahlzeit an Land: Poisson cru chinois – roher Thunfisch

Die ersten Tage verbringen wir damit kostenfreies Wlan zu suchen. Erfolglos. So haben wir zwar Internet per lokaler Sim-Karte, aber mit begrenzten Daten. Die Apps, die nach zwei Monaten ohne Aktualisierung nicht mehr funktionieren, müssen genauso warten wie Bilder und Videos. 

Nur für die wichtigsten Apps gibts ein Update: wir brauchen einen Ankeralarm – eine App, die uns auch nachts warnt wenn, das Boot sich aus einem bestimmten Radius heraus bewegt. Ohne zuverlässige GPS Überwachung schläft es sich nicht ruhig an einem neuen Ankerplatz. Und durchschlafen ist doch der neue Luxus, auf den wir uns jetzt freuen. Die erste Nacht schlafe ich zwölf Stunden am Stück. 

Dann spazieren staunend durch die Supermärkte, denn es gibt viel mehr als erwartet. Das Versorgungsschiff war gerade da. Das nächste kommt in zwei Wochen. Die Regale sind voll. Mit australischen, asiatischen und europäischem Zeug. Es mangelt an gar nichts. Die Preise sind wie erwartet hoch. Aber schnell stellt sich heraus, dass einheimische Ware (aus Tahiti) durchaus bezahlbar ist und die zuckerfreie Cola subventioniert. Wir brauchen nicht das Sauerkraut in der Dose, davon haben wir noch an Bord. Aber Baguette, Butter und Käse gibt es auch zu vernünftigen Preisen. Der Rest wird auf dem Markt aus dem heimischen Gärten gekauft. Muss ja nicht die Melone für 20€ sein. Außerdem probieren wir uns durch die lokale Küche. Schnell werden wir Stammkunden im Snackladen am Dock. Hier gibt es rohen Thunfisch in verschiedensten Varianten (Sashimi, süß-sauer oder in Kokosmilch) und das, was gerade gefangen wurde: Wahoo in Zitronen-Sahne sauce zum Beispiel.

Dazu ist das Lokal nicht nur der Treffpunkt aller die am Dock anlegen, sondern hat auch einen herrlichen Ausblick auf das Gewusel. Auf der einen Seite wird der Sonnengetrocknete Thunfisch von der Leine abgenommen und verpackt. Der leckere Snack geht Ruckzuck weg. 

Thunfisch-Snack auf der Leine am Dock

An der Mole legen die Fischer mit ihrem Fang an. Dann gehts los: auf großen Tischen direkt an der Wasserkante werden die Fische ausgenommen, entschuppt und zerteilt. Die Rester fliegen ins Hafenbecken. Es dauert nicht lang, da tummeln sich die Haie im Wasser und kämpfen um ihre tägliche kostenlose Mahlzeit. Deswegen steht dort auch das „Baden verboten“ Schild. Nachdem ich den Tumult der zwei Meter großen Haie gesehen habe, will ich hier auch nicht mehr baden. Schade.

Frischer Fang: Thunfisch wir direkt vor Ort zerlegt
Und neben dem Dingi streiten sich die Haie um ihre kostenlose Mahlzeit

Die Strände sind meist verwaist. Oft tummeln sich nur die Reiter am Strand. Denn Pferde gibt es überall. Hier in der „Stadt“ zum Transport und Vergnügen, auf anderen Inseln gibt es auch Wildpferde. Taiohae ist die Hauptstadt der Marquesas und für die Insulaner eine Metropole. 2600 Einwohner beherbergt die Insel Nuku Hiva, davon 1600 in der langgestreckten Bucht im Süden.

Überraschend ist daher die Vielzahl an Autos. Jeder scheint hier einen weißen Pickup zu fahren, der Großteil modern und in gutem Zustand. 

Vielleicht sind wir’s auch einfach nicht mehr gewohnt nach der langen Zeit in Lateinamerika. Europäischer Einfluss ist hier zu spüren. 

Nur die Kultur ist ganz anders: die Straßen sind gesäumt von Tikis, kleinen bedeutungsträchtigen Steinfiguren und täglich wird irgendwo getrommelt und gesungen. Wir besuchen eine Tanzveranstaltung der Schule zur Spendensammlung für eine Klassenfahrt nach Tahiti, denn der dreieinhalbstündige Flug ist teuer. In den nächsten Tagen und Wochen werden wir immer wieder Essens-Basare und ähnliche Angebote wahrnehmen, die der Spendensammlung dienen. Uns ist es recht, so bekommen wir viel Einblick in die marquesische Kultur und Kulinarik. „Umu Kai“ ist das traditionelle Essen aus dem Erdloch. Noch haben wir die Sau nicht schwitzen gesehen, aber das Ergebnis schmeckt. Zart gebackenes Wildschwein. Die sollen hier frei leben. Auch Ziege und Pferd landen auf dem Teller. 

Tikis – überall in verschiedensten Ausführungen

Wir probieren wir uns auch durch die diversen regionalen Beilagen. Es gibt Maniok-Kürbis-Brei, Bananen-Kokos-Brei, Kokos-Reis, Brotfrucht-Brei. Dazu verschiedene Kokossaucen. Überhaupt gibt es selten ein Gericht, welches nicht in Kokosmilch liegt. Ob Ziege, Thunfisch oder Brei, Kokosmilch passt überall. 

Roher Fisch, Umu Kai und diverse Beilagen als Pampe

Mehr über die Kultur und Natur von Nuku Hiva, die Vorbereitung auf das Marquesas-Festival und über unsere Begegnungen und Erlebnisse erzähle ich euch beim nächsten Mal.


Für bewegte Bilder von unterwegs, schau gern mal bei YouTube vorbei: @einfachreisen


Du willst die Reise nicht nur rückblickend lesen?

Dann komm in meinen WhatsApp-Kanal – dort teile ich aktuelle Bilder, Videos & Gedanken direkt von Bord


Alles über unsere Reise findest du unter Willkommen an Bord


Diese Seite zu führen macht Spaß – kostet aber auch Zeit, Nerven und Geld. Da brauch man gelegentlich einen Rumpunsch.
Wenn du uns unterstützen willst, spendier uns gern einen Drink – einfach mit einem Klick aufs Bild!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert