Kolumbien März-April 2025
Dicke schwarze Ränder zieren meine Fingernägel, der Schweiß rinnt übers Gesicht und der Dreck quillt gefühlt aus jeder Pore. Mit einem Schraubenzieher bewaffnet hacke ich Urinstein aus einem Toilettenrohr, stundenlang. Den selben Schraubenzieher den ich gestern kopfüber zweimal im Motorraum verloren habe, als wir die Seewasserpumpe zum zweiten oder dritten mal anschrauben um sie in die richtige Position zu bringen. Die Arbeiten sind mühselig und langsam. Nach jedem winzigen Erfolg, kommt ein Niederschlag. Wir wollen nur die Dichtungen am Klo tauschen, da sehen wir dass die Leitungen komplett dicht sind. Neue Rohre verlegen, Anschlüsse finden, Ventile sauber kratzen. Zwei Tage Arbeit. Wir wollen nur eine Dichtung an der Seewasserpumpe wechseln, brauchen aber 3 Tage und Spezialwerkzeug um den alten Ring überhaupt herauszuholen. Und mehrere Versuche um die Pumpe wieder an die korrekte Stelle zu schrauben. Ölwechsel: Ölpumpe kaputt. Und immer so weiter. Neben vielen frustrierenden Momenten, weil einfach ständig was neues kaputt geht, haben wir aber auch viele geplante Arbeiten erledigt.

Geplante Baustellen waren vorallem der Austausch von zwei Seeventilen. Löcher im Boot unter der Wasseroberfläche sind immer heikel. Haben wir also machen lassen. Zu unserer Zufriedenheit. Das war einer der Hauptgründe das Boot an Land zu stellen. Geplant war außerdem eine neue Ankerkette. Die sorgte vor allem für eine eine Vielzahl kleiner und größerer Entscheidungen und Abwägungen. Denn Ankerketten sind ein Investment – viel Geld aber auch eines der wichtigsten Sicherheitselemente an einem Boot.

Ungeplant kam dann noch die Erneuerung unserer Reling, eine Reparatur der Ankerwinde (yeah, nicht mehr per Hand den Anker hochziehen), die erwähnte kleine „Sanitärsanierung“ und tausend andere kleine Dinge dazu. Und natürlich noch geplante Reparaturen, die wir einfach irgendwann erfolglos aufgeben und hinnehmen. Dann hat das Steuerrad außen halt ne Macke. Wir leben schon länger damit. Einige Tage Arbeit mit vielen Erkenntnissen aber ohne Lösung.

Die letzten beiden Monate in Kolumbien waren also geprägt von vielen Hochs und Tiefs. Sowohl bei den frustrierenden Arbeiten am Boot als auch beim Leben in Cartagena an sich. Der Umzug vom Stadt-Ankerplatz zur Marina, hatte erstmal den Vorteil, nicht mehr von lärmenden Speedbooten umgeben zu sein. Brachte dafür neue Herausforderungen im Alltag mit sich. Denn herausgeputzt und vorzeigbar sind in Cartagena auch nur die Stadtteile, in denen sich die Touristen bewegen. Ein paar Straßen abseits werden die Fußwege schon nicht mehr täglich gefegt und drei Stadtteile weiter gibts gar keine Fußwege mehr, noch nicht mehr unbedingt Teer auf den Straßen.
Schon am ersten Tag, nachdem das Boot an Land stand und wir uns von unserer neuen Umgebung ein Bild machen wollen, werden wir gleich zweimal angesprochen, dass man hier als Tourist nicht rumlaufen sollte. Die Polizei hält uns an, durchsucht unsere Taschen und fragt, was wir hier wollen. Wir drehen also mal lieber wieder um. Zu sehen gibt es eh nichts.

Unsere Wege zu Fuß beschränken sich seitdem auf den 700 Meter entfernten Supermarkt und Monikas Laden direkt vor den Toren der Marina. Tagsüber. Im Dunkeln wird nicht herumgelaufen. Direkt hinter den Mauern der Marina führt ein staubiger, mit Müll bedeckter Weg nach rechts, woher des Öfteren armselige Gestalten gelaufen kommen, an die Mauer kacken und den Müll nach brauchbaren durchsuchen. Rechts der Marina bewegen wir uns also schonmal nicht.

Außer Koks und Nutten gibt es da auch nichts. Und wenn man das will, kann man auch überall anders in Kolumbien hingehen. So wurde uns gesagt. Von diesem Teil der Umgebung haben wir die gesamten 6 Wochen also nur ab und an laute Partymusik mitbekommen. In die andere Richtung führt der erdige Weg zu einer vierspurigen Hauptstraße und ist gesäumt von parkenden LKWs. Der Containerhafen ist nicht weit weg und so sind diese Straßen wohl ein beliebter Parkplatz für unzählige riesige Laster. Und dazwischen Müll. Nur direkt vor den Ansässigen kleinen Häusern ist gekehrt. Da spielen die Kinder auf der staubigen Straße und sitzen die Erwachsenen auf ihren vergitterten Terrassen. Verrückte Gestalten rennen auch hier reichlich rum.

Aber bei Monika direkt vor der Marina werden wir jeden Tag freundlich und bestens versorgt mit einem reichlichen Mittagsmenu aus Suppe, Reis mit Bohnen, Platanos (Kochbananen), Salat und Fleisch, täglich wechselnd. Immer lecker und für unter 3 Euro unschlagbar.

Und so passen wir also unseren Alltag an. Die ersten Wochen an Land arbeiten wir unsere ToDo Listen ab und werkeln bis 12Uhr die Mittags-Sirene ertönt, gehen zusammen mit den Arbeitern bei Moni essen und werkeln dann weiter, bis 17Uhr die Sirene zum Feierabend läutet. Arbeitsalltag auf dem Shipyard. Für regelmäßige Besuche beim Baumarkt und Marine-Laden, rufen wir uns ein Uber und lassen uns von Tür zu Tür fahren. Selbst die Taxifahrer wollen immer ungern diese löchrige schmutzige Straße entlangfahren. Man muss immer etwas ermutigen, dass das wirklich der richtige Weg ist und sich am Ende eine Marina befindet. Uber wird unser Verkehrsmittel Nummer eins, einfach weil wir dem verhandeln über Preise mit Taxifahrern umgehen wollen. Als Ausländer wird man überall abgezockt, oder es zumindest versucht. Bei jeder Avocado auf dem Markt und Getränken auf der Straße. Entweder verhandelst du geschickt oder zahlst mehr. Wir haben es leid, also buchen wir uns über eine App Fahrer, die Ziel und verdientes Geld schon vorm einsteigen kennen. Sehr praktisch und sehr kostengünstig. Denn wir fahren viel Uber. Manchmal auch einfach nur, um mal in der Stadt ein bisschen durch die Gegend zu laufen am Abend und das schöne Flair der touristischen Stadtteile zu genießen oder in den modernen Läden einkaufen zu gehen.

Wie nah Arm und Reich beeinander liegen und wie weit diese beiden Welten dann doch auseinander liegen beschäftigt mich sehr in diesen Tagen. Wie unterschiedlich das Leben aussehen kann, wenn du einfach nur um eine Hausecke gehst oder im anderen Stadtteil geboren wurdest.

Da wir das Boot hier auch nicht allein vor Anker liegen lassen können (wollen), nutzen wir die Wartezeit auf den Elektriker während wir noch an Land sind, und machen ein bisschen „Urlaub“.
Kolumbien ist riesig. Die Auswahl an schönen Orten demzufolge auch. Um etwas mehr vom Land zu sehen und gleichzeitig aus der Stadt zu entfliehen, entscheiden wir uns für einen Ausflug nach Minca. In den Bergen. Dafür geht’s fünf Stunden mit dem Bus nach Santa Marta und von dort mit dem Taxi in das Bergdorf. Hier ist Backpackertourismus auf höchstem Niveau. Die Auswahl an günstigen Unterkünften ist gewaltig. Wir haben uns 2 km abseits des Ortes eine Unterkunft mitten im Wald ausgesucht. Und die war ein Goldgriff. Die letzten Kilometer laufen wir. Mit dem Taxifahrer wohl etwas zu doll verhandelt… Aber das ist nicht schlimm. Wir genießen kühle, frische, saubere Bergluft, sind umgeben von schattigem Regenwald und hören die Flüsse im Tal rauschen. Herrlich.

Nach einer halben Stunde biegen wir von einer geteerten Straße in eine Art Wanderweg ab. Es geht abwärts, ein Wasserfall ist ausgeschildert. Und dann stehen wir plötzlich schon in unserer Unterkunft. Sie liegt direkt am Fluss. Und ich bin begeistert, als uns bei der Begrüßung gesagt wird, dass sie hier keine Musik spielen, es gibt nur die Geräusche des Waldes und des Flusses. Genau das, was wir gebraucht haben nach all dem Lärm und Dreck der letzten Wochen. Die Kolibris flattern umher und die Bäume tragen Früchte, die nach Rosen schmecken. Überall sind Hängematten und sogar Netze direkt überm Fluss aufgespannt. Ich weiß schon jetzt, dass dies mein Lieblingsplatz wird.

Und genau so kommt es auch. Denn mir geht es gesundheitlich nicht gut und daher unternehmen wir keine großen Wanderungen, auf die ich mich auch gefreut hatte, sondern beschränken uns auf kleine Spaziergänge zum nahegelegenen Wasserfall und Visiten am Fluss. Ansonsten versuche ich, in der Hängematte mit einem Buch zu entspannen und zu genesen. Tee und Wasser gibt es umsonst und das Essen ist auch gut. Wir sind rundum versorgt und verlängern noch etwas, weil wir nun keine anderen Orte mehr ansteuern wollen. Wahrscheinlich war diese Zwangsauszeit auch gut so. Als es mir nach ein paar Tagen wieder besser geht, machen wir auf dem Rückweg noch einen Zwischenstopp in Barranquilla, Shakiras Geburtsstadt. Hier waren wir vor ein paar Wochen schonmal zum Karneval, haben in dem Ausnahmezustand aber nichts sehen können von der Stadt. Hier fahren wir auch über den Fluss, der uns auf unserer Vorbeifahrt auf See so viel Sorgen bereitete, entdecken aber wieder keine Kühe. (Siehe Artikel „Hochseesegeln“). Und wir besuchen Shakira. Natürlich. Die Statue steht direkt an einer pompösen Flusspromenade. Fluss, Beton, ein paar Cafés und glühend heiße Sonne, sonst gibt’s hier nix. Nur bei Shakira wird Schlange gestanden für ein Foto.

Zurück auf dem Shipyard entscheiden wir ein paar Tage später spontan, am nächsten Tag ins Wasser umzuziehen. Wir haben alles untenrum erledigt und die Marina hat auch einen kleinen Hafen. Dort zu liegen kostet weniger, ist weniger schmutzig und wir können die reparierten Teile im Wasser testen und Arbeiten machen, für die der Motor laufen muss (an Land kann man einen Bootsmotor nicht starten, weil er das Wasser für den Kühlkreislauf braucht).

Und so kommt direkt am nächsten Morgen wieder der Kran zum Boot, Gurte drum, Stützen weg und ab ins Wasser. Alles ist dicht. Puh. Der Motor springt an, puh. Wir fahren 100 Meter und machen am äußersten Steg fest. Hier ist es ein bisschen luftiger und sauberer und auch unterhaltsam.

Am anderen Ufer ist ein Marinestützpunkt, morgens und Abends „Fahnenapell“ mit der Nationalhymne. Und auch dazwischen unterhält uns die Blaskapelle der Nationalgarde sehr gut. Soviel wie die üben, bewachen die Kolumbianer ihre Küste wohl mit Orchestermusik. Naja. Für Unterhaltung ist also die nächsten Wochen gesorgt. Die Shipyard-Wachhunde kommen uns auch täglich besuchen, seit sie wissen dass es bei uns Leckerlies gibt.

Und langsam wächst wieder Gras am Rumpf während wir die nächste ungeplante Odyssee durchleben. Aber von den Hochs und Tiefs bei der Ärzteodysee berichte ich ein anderes Mal.
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Hier könnt ihr unserem Boot folgen und unsere Route mit allen Beiträgen unter „show journey“ sehen: