Hochseesegeln

Eine kleine Drehung an Otto, unserem Windpiloten und schon fällt der Wind von der linken Seite ins Segel, der Bug dreht sich, ich mache die Schot auf der Backbordseite los und Heiko zieht das Segel auf der anderen Seite dicht und kurbelt an der Winsch, bis es in der richtigen Stellung steht. Fertig. Eine Halse gefahren. Das Manöver hat nur ein paar Minuten gedauert und schon fahren wir 60 Grad weiter nach rechts. Es ist Tag 4 auf unserer Überfahrt nach Curacao und das erste mal, dass wir ein Segelmanöver fahren, seit Verlassen der Bucht von Grenada. Das ist Langfahrt Segeln!

Otto steuert unermüdlich

Die eigentliche Arbeit kommt erst danach, alles was sich die letzten Tage auf der linken Seite des Bootes eingekuschelt hatte, wird nun auf die andere Bugseite gedrückt. Aber da wir schon wieder voll im Schaukel-Modus sind, gibt es kaum Gegenstände, die nicht festgeklemmt oder verkeilt sind, aber halt zum größtenteil nur in die eine Richtung. 

Da ich die Rettungsleine schonmal angezogen habe – vorsorglich, falls sich beim Halsen irgendwas auf dem Vordeck verklemmt – gehe ich gleich noch eine Kontrollrunde an Deck, eingehakt im Stahlseil was sich übers Deck zieht. Anker und die Wasserkanister  sind noch ordentlich festgezurrt und alles sieht aus, wie es aussehen sollte. Also zurück hangeln und wieder dem normalen Offshore-Bootsalltag widmen. Der sieht im Normalfall ziemlich entspannt aus. Denn es gibt nichts zu tun, außer zu schauen, dass der Autopilot uns in die richtige Richtung lenkt und wir nichts umfahren, oder umgefahren werden oder böse Wolken mit Wind und Regen im Anmarsch sind.

Solche Squalls sind immer gut, rechtzeitig zu erkennen

Wir befinden uns nördlich von Venezuela, außer Sichtweite der kleinen venezolanischen Inseln die hier liegen. Ein bisschen wehmütig denke ich daran, wie schön es dort wohl wäre. Aber Sicherheit geht vor und wir begeben uns nicht absichtlich in Gebiete, wo Yachten überfallen werden. Leider ist Piraterie in venezolanischen Gewässern immer wieder Realität. 

Sonst besteht so ein Tag auf See ziemlich viel aus rumsitzen und auf Wellen starren und versuchen sich unfallfrei an Bord zu bewegen. Und das ist manchmal schon harte Arbeit. Bei der Nahrungsaufnahme zum Beispiel. Hierbei nimmt die Vorbeitungsarbeit einen Großteil der Zeit ein. Immer nur eine Hand frei, die andere ist zum Festhalten. Lebensmittel und Geschirr sind so abgelegt, dass sie nicht bei der nächsten Welle rumfliegen. Und die kommt ganz sicher genau in der Sekunde, wo ich den Behälter mit dem Eierkuchenteig nicht richtig festhalte. So ein Teig hinterm Herd ist schon eine ganz schöne Sauerei, sag ich euch. Auch damit, Sauereien zu beseitigen, kann man sich ganz schön lange beschäftigen. Bis ich einsehe, dass man bei 4 Meter Welle nicht verletzungsfrei hinter den Herd kriechen kann.  

Kurzzeitige Passagiere sind immer eine schöne Abwechslung

Also den nächsten Aufgaben widmen. Nachdem ich es geschafft habe alle herumrollenden Zwiebeln aufzusammeln, die Möhren zu schälen und einen Eimer Salzwasser aus dem Meer zu holen und das Gemüse zu waschen, kann ich auch mit dem Schnippeln beginnen. Auch das will durchdacht sein. Jedes geschnippelte Teil landet sofort vom Brett in einem Behälter, der sicher verkeilt ist. Das Messer nicht aus der Hand legen, rutscht sonst sofort weg. Den Körper mit den Beinen in einer Position halten, die einem ermöglicht mit beiden Händen zu arbeiten und trotzdem nicht umzufallen.

Zwischendurch immer mal aufstehen und draußen nach dem Rechten schauen. 

Konzentriertes beobachten der Umgebung 😉

Wenn alles vorbereitet ist, kommt alles in einen Topf, der hoch genug ist, damit nichts rausläuft und aufpassen dass der Deckel nicht runter hüpft. Der Topf an sich ist auf dem Herd mit speziellen Bügeln gesichert, so dass der sich eigentlich nicht bewegt. Meist gibt es One-Pot Gerichte. Also Dinge die alle zusammen in einem Topf gekocht werden. Die sind dann auch zum Ein-Hand-Verspeisen geeignet. So ein Eierkuchen auf die Hand zum Beispiel, oder Curry zum Löffeln aus ner Schüssel. Für Besteck bräuchte man sonst ja eine dritte Hand, die den Teller festhält. Viel zu kompliziert. So eine 3-Stunden Schicht ist mit Nahrungsaufnahme also schnell mal vorbei. Warum man es sich nicht einfacher macht und einfach eine Dose aufmacht? Weil man ja sonst nix zu tun hat. Und so eine Nahrungszubereitung bei der man sich so konzentrieren muss, hat auch was meditatives. Natürlich gibt es auch Tage und Wetterbedingungen bei denen ich mich einfach an dem gut sortierten Fertigdosenessen bediene. Aber gutes Essen macht gute Laune und die ist wichtig, wenn man übermüdet ist und keine Ablenkung hat. 

Unsere Schichtzeiten haben wir seit 2022 nicht geändert. Der Körper erinnert sich an den Langfahrt-Biorhythmus, habe ich das Gefühl und dank unsere sehr unterschiedlichen natürlichen Biorhythmen (ich eine Eule und Heiko ein früher Vogel) passt unser Einteilung auch weiterhin perfekt. 

Die erste Wach-Zeit beginne ich 21Uhr. Mitternacht schlafen gehen ist super. Die zweite Schicht 3-6Uhr ist immer hart, aber dafür kann ich ab 6uhr herrlich bis zu einer mir natürlichen Aufstehzeit schlafen und dann frühstücken. Und für Heiko ist 6Uhr aufstehen nicht ungewöhnlich. Tagsüber halten wir das nicht so streng. Meistens legen wir uns abwechselnd nochmal hin nach dem Mittag oder nach dem Sonnenuntergang, aber selten die festen 3 Stunden. Natürlich gibt es auch Schichten in denen man schlafen sollte, es aber einfach nicht kann, weil man zu sehr umhergeschüttelt wird, oder es zu laut ist. Oder es klingt so windig, dass man sich bereit macht gleich zum reffen raus zu müssen. Manöver wie die Segelfläche bei zu viel Wind verkleinern (Reffen) machen wir immer zusammen. So oft kommt das nicht vor und es gibt einfach Sicherheit. Heißt aber auch, dass man den anderen weckt, wenn etwas ist. Solche Nächte, mit viel Aktivität und weniger als 2x3h Schlaf sind dann ganz schön schlauchend und hart, aber zum Glück nicht so häufig. 

Bei verlassen von „internationalen Gewässern“ wird die gelbe Flagge gesetzt

Aber die Bedingen auf dieser 5-tägigen Überfahrt von der östlichen Karibik zu den niederländischen Antillen sind super. Wir fahren Rekordgeschwindigkeiten über längere Zeit und kommen erstmals auf Etmale von über 100 Seemeilen (in 24h). Die Welle und Strömung von hinten treibt uns ordentlich an, mal klettern wir mit nur 3 knoten die Welle rauf um sie dann mit 8 knoten wieder runter zu surfen. Dass macht schon Spaß zu beobachten.

Die komplette Überfahrt in Zahlen

Und so erblicken wir auch schon einen Tag eher als erwartet die erste von den niederländischen Antillen. Das B von den ABC Inseln liegt vor uns. Wir umrunden Bonaire und entscheiden uns die Insel von See aus etwas genauer anzuschauen, weil wir eh ein bisschen langsamer werden wollen, sonst kommen wir mitten in der Nacht in Curaçao an. Bonaire ist ein Marine-Naturschutz-Gebiet und hat durch erhöhte Gebühren und Vorschriften (versiegelter Abwassertank) dafür gesorgt, dass es für Segler nicht mehr attraktiv ist.

Land in Sicht: Bonaire

Also lassen wir uns nur vor der Küste treiben, schmeißen den Wassermacher in diesem tollen, blauen, klaren Wasser an. Und lassen uns dann langsam nach Curaçao rüber treiben um zum Sonnenaufgang in den schmalen, seichten Kanal einzufahren, der in eine riesige Binnensee-ähnliche Bucht mündet.

Unser Ziel Curacao in Sichtweite am frühen Morgen

Natürlich kommt uns an der engsten Stelle des Kanals ein großer Party-Katamaran entgegen. Aber wir können nicht ausweichen. Unter uns sind zwar noch 5 Meter Wasser, neben uns aber nicht mehr. Wir haben knapp 2 Meter Tiefgang, der Katamaran nicht. Der Tiefenmesser piept, der Heiko schwitzt hinterm Steuer, ich starre auf das türkisklare Wasser um uns. Aber auf die Tiefenangaben in der Navigationspp ist hier zum Glück Verlass und so fahren wir einfach nach Navigation  in den fjordähnlichen Ankerplatz hinein und finden einen Platz für die nächsten Tage… oder Wochen? 

Der Kanal (rechts) mündet in einer großen geschützten Bucht

Tja, denn wie lange wir hier bleiben, wissen wir natürlich nicht. Das ist vorallem wetterabhängig. Auch wenn Curaçao schön ist, beschäftigen wir uns in den nächsten Tagen schon sehr viel und intensiv mit der nächsten Überfahrt. 

Blick auf unsere Ankerbucht, aber gedanklich schon bei der Weiterreise

Denn die wird noch spannender. Der Seeweg von den Antillen nach Kolumbien gehört zu den herausforderndsten Segelrevieren der Welt. Ein Grund dafür ist das höchste Küstengebirge der Welt. Nur knapp 40km von der Küste entfernt ist der höchste Punkt mit 5775 Metern, der Pico Columbus. Und so ein fast sechs tausend Meter hoher Berg verändert natürlich extrem die Wetterbedingungen. Das Gebirge stoppt jeglichen Einfluss des Südamerikanischen Kontinents und tunnelt den vorherrschenden Ostwind auf See zum dreifachen des normalen Windes. Zusätzlich zu dem Gebirge und dem Wind, sorgt der schnell abfallenende Meeresboden für ordentlich Seegang. Wie Wellen von 2000 Meter tiefer See auf 30 Meter treffen, will man in einem Boot nicht erleben. Da bäumt sich ordentlich Wasser auf. Außerdem bietet das Kap, was in die karibische See hinausragt auch noch ordentliche Strömungen entlang der Küste. Und als ob das nicht schon genug ist, mündet der größte Fluss Kolumbiens auch noch hier ins Meer. Der Rio Magdalena sorgt nicht nur für Gegenströmung, sondern spuckt auch noch regelmäßig ganz viel Trümmer ins Meer. Ganze Baumstämme und sogar tote Kühe wurden hier gesichtet. Ein Ort an dem man ganz sicher nicht im dunkeln entlangfahren will. 

So sieht die Windvorhersage auf unserer Route standardmäßig aus: je roter desto böser

Was macht man mit all den Informationen? Einen guten Plan entwickeln. Nachdem wir mehrere Tage die besten Routen recherchiert haben, mit anderen Seglern und Agenten für die Einreise in Kolumbien in Kontakt waren, entscheiden wir uns, weit draußen auf dem Meer und direkt nach Cartagena zu fahren. Ein Zwischenstopp vor dem Kap an der Kolumbianischen Küste ist nicht nur bürokratisch aufwändiger und teuerer, sondern auch länger. Nachdem wir also Routenmarkierungen gesetzt haben, die uns weit genug weg von rauer See, komischen Strömungen und Flüssen führt, warten wir jetzt nur noch auf gutes Wetter. 

Die steil abfallende Küste auf einer Seekarte

Die Vorhersagen für dieses Gebiet beobachten wir seit einem Jahr schon immer wieder. Selten gehen die Böen unter 30 Knoten, meist herrschen dort Winde über 40 Knoten, also Sturm. Da wir bisher gute Erfahrungen mit dem Motto „der geduldige Segler hat immer guten Wind“ gemacht haben, verfolgen wir auch jetzt diese Strategie: wir warten. Alle paar Wochen wird der Wind mal für ein paar Tage weniger. Und dass wird unser Aufbruchsignal sein. Seit wir hier in Curacao sind, ist es extrem windig, selbst hier. Aber seit einer Woche sehen wir auch schon eine Verbesserung in der Vorhersage. Natürlich sind Vorhersagen 14Tage im Voraus immer etwas wage, aber auch das kurze 12h Windarme Fenster von heute, hat sich seit vielen Tagen angekündigt und gehalten. Uns war ein halber Tag gutes Wetter nur zu knapp, wir brauchen ja schon fast 3 Tage, bis wir an der kritischen Stelle angekommen sind, das lässt ich also schwer planen. Also beobachten wir jeden Tag weiter und die Chancen stehen gut, dass wir Ende kommender Woche aufbrechen und ein paar Tage faire Winde uns nach Kolumbien tragen. 

So sehen Alltag auf See und Vorbereitung auf Hochseefahrten also in der Realität aus und bestimmen auch den Alltag an Land. Recherchieren, lesen, nachfragen, Routen planen, Einreisebedingungen klären, Marinas und Ankerplätze checken, Wind, Welle und Strömungen beobachten und Wetterroutings machen. 

Unsere Ankerbucht Spanish Waters überblickend

Und nebenbei entdecken wir natürlich auch noch Land und Leute von Curaçao. Von dieser niederländischen Insel mit ihren Papageien, Flamingos und stacheligen Sträuchern, berichte ich das nächste Mal. 

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Hier könnt ihr unserem Boot folgen und unsere Route mit allen Beiträgen unter „show journey“ sehen: