Im Zug sitzen und „verreisen“ erfüllt mich gerade mit einer unbeschreiblichen Freude, nicht nur dass es mir vorkommt als wäre dies etwas ganz besonderes und ein seltenes Erlebnis (obwohl die letzte Fahrt erst im letzten Monat war), sondern auch weil ich die vorbeiziehenden Landschaften hinter Hannover erkenne, denn diese waren meine letzten Reiseziele. Ja, was hat man in einem Reiseblog zu berichten, wenn Reisen nicht möglich ist? Zu „verreisen“ gehörte für mich immer entweder irgendwo in ein Flugzeug oder Zug zu steigen oder zumindest woanders (egal ob Inland oder Ausland) zu übernachten. Alles nicht möglich, wenn alle Länder gesperrt, touristische Übernachtungen verboten und der Himmel blau und Flugzeugleer ist.
Eine Welle der Freiheitsberaubung überkommt mich, ich habe Urlaub und muss raus, denk ich. Also warum nicht mal das bereisen, wofür man sich eh immer zu wenig Zeit nimmt, die Heimat und direkte Umgebung.
Und damit das natürlich ganz Kontaktlos von statten geht, ohne öffentliche Verkehrsmittel. Also das was man zu Fuß und mit dem Rad entdecken kann. Herausforderung angenommen.
Ich benutze meine bewährte Outdoor-App Komoot um ein paar Rad-Touren zu planen. Meine präferierte Tour-Kombination ist dabei ein Ziel im Grünen, wo man mit dem Rad über schön gelegene Wege hinfährt und dort ein bisschen wandern geht. Ich habe aber erst einige reine Fahrradtouren gemacht, bevor ich erkannte, dass mir das Laufen fehlt. Im Gehen kann ich mehr entspannen, man verpasst nichts von seiner Umgebung und sieht einfach bewusster die Landschaft und Natur, außerdem ist man einfach leiser und kann tatsächlich ganz schön viele Tiere hören. Die gibt es in den heimischen Wäldern und Auen nämlich ganz schön viel.
Letzteres gibt es in der Region Hannover reichlich und in wunderschöner Form: flache Landschaften um Flüsse, die von saftigen Wiesen und aufgestauten Seen, Teichen und Weihern umgeben sind.
Ein besonders schöne Hannoveraner Landschaft zieht sich südlich des Maschsee’s bis hinter Sarsted.
Dort schlängelt sich die Leine durch unbenaute Landstriche, wird von der alten Leine gespeist und hinterlässt einen Flickenteppich aus grünen Wiesen, Wäldern und unzähligen See’n. Und sie ist durchzogen mit einem Wander-und Radwegnetz, das so gut ausgebaut ist, dass es keine Wünsche offen lässt. Besonders an sonnigen Tagen, kann man dort super Verweilen und sich in der Natur entspannen.
Und auch Tiere gibt reichlich zu beobachten, neben Störchen, Schwänen, Enten und Gänsen, sind die Teiche von Fröschen und Quappen, Krebsen und Fischen besiedelt. Während ich so tiefenentspannt an einem menschenleeren See sitze und meine Pausen-verpflegung verspeise, kommt ein Hund (so mein erster Gedanke) auf mich zugelaufen, ich erschrecke, blicke auf und schaue in die entsetzt erschrocken Augen eines kleinen Bambis, das ganz schnell wieder den Abflug macht und sich eine andere Stelle am Fluss zum trinken sucht. Dabei merke ich, dass ICH hier der Eindringling bin, denn dieses Reich gehört der Natur und den Tieren. So nah an einem Lebensraum, der nicht von Menschen bestimmt ist, fühl ich mich ein bisschen Ehrfürchtig und gleichzeitig gibt es wenig, was so zufrieden macht, wie bei Sonnenschein an einem menschenleeren See umgeben von Vogelgezwitscher zu sitzen.
Ein weiteres tolles Ausflugsziel sind die Wälder, Moore und Kiesseen im Nordosten von Hannover. Hier sind die meisten Seen zwar abgesperrt, also nix mit Lebensraum ohne Menscheneinfluss, aber das Dreieck zwischen Isernhagen, Burgwedel und Burgdorf bietet viel Abwechslung, viele Bauernhöfe, Pferdekoppeln, Felder und echte Landluft. Auch hier gibt es eine Vielzahl von Rad- und Wanderwegen, die sonst nur für die Landwirtschaft genutzt werden. Autos also Fehlanzeige, außer dass in dieser Gegend die 3 Autobahnen A2, A7, A37 kreuzen und man daher ständig Autobahnbrücken überqueren muss. Wie praktisch, dass auch diese aktuell sehr leer sind, sonst wäre man auch in der Natur von dem ständigen Summen der Autobahn umgeben.
Weiter östlich hingegen ist die Landschaft etwas trauriger und die Felder zwischen den Autobahnen sind von Kies-und Betonwerken bestimmt. Rund um Lehrte hab ich also eher Fernweh bekommen, als ich an dem einzigen netten Angelteich saß und kilometerlange Radwege mit grauer Landschaft und Industrie hinter mir lagen. Hannover ist halt doch nicht Island (mein ursprünglich zu dieser Zeit geplantes Ziel), aber so eine deprimierende Erfahrung gehört halt auch dazu, um sich dann am nächsten Tag um so mehr über nette Ecken freuen zu können.
Denn der im Westen liegende Benther Berg war nicht nur ein nett zu erreichende Ziel (entlang der Fösse), sondern auch ein super Ort zum wandern, Wenn’s mal ein bisschen bergiger sein soll. Hübscher Mischwald mit einer Erhebung von immer 173Metern (immerhin mehr als die sonst höchste Erhebung Monte Müllo, die aufgeschüttete Deponie, mit 121m). Auch hier entdecke ich wieder eine Schwäche für Nadelbäume, vielleicht, weil es sie hier einfach seltener gibt, aber egal ob Kiefern oder Lärchen, ich mag die düsterheit, den Geruch und die weichen Waldboden um diese Nadelhölzer.
Wahrscheinlich ist es aber, wie es oft im Leben so ist: es zieht einem zu dem, was man gerade nicht haben kann. Und so ist mein Fernweh, trotz der schönen Region, ungebremst, kann aber gerade schon allein durch eine Zugfahrt durch Deutschland gestillt werden und wer weiß, vielleicht nutze ich diese Gelegenheit der aktuellen Beschränkung einfach weiterhin um tatsächlich mal regionaler zu verreisen und, auch der Umwelt zuliebe, ein ganzes Jahr ohne Fliegen zu verbringen. Denn dieser Streifenlos blaue Himmel ist schon wirklich hübsch anzusehen, findet ihr nicht?